29.

Aug

Am 25. August 2022 hat die Financial Action Task Force (FATF) den Abschlussbericht („Mutual Evaluation Report (MER)“) über die Prüfung Deutschlands veröffentlicht. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Deutschland in den letzten fünf Jahren beachtliche Reformen durchgeführt hat, um Geldwäscheaktivitäten bzw. Terrorismusfinanzierung besser zu erkennen und zu bekämpfen. Diese Reformen tragen Früchte. Es bedarf aber weiterer Anstrengungen, um die Effektivität der Präventionsmaßnahmen zu optimieren.

Mangelhafte innerstaatliche Behördenkoordination und Nutzung von Financial Intelligence

Die Probleme sind nicht neu, sondern lange bekannt und werden seit vielen Jahren behördenübergreifend diskutiert. Dazu zählt auch die innerstaatliche Koordination zwischen den Strafverfolgungsbehörden der einzelnen Bundesländer. Während die jeweiligen Landeskriminalämter in der Vergangenheit aufgrund fehlender Informationsflüsse teilweise unabgestimmt parallel ermittelt haben, hat sich durch die Schaffung der zentralen Meldestelle die Effektivität in den letzten Jahren bereits verbessert. Die FATF hat im Rahmen ihrer Prüfungen hier aber Optimierungspotenzial wahrgenommen. Sie erwartet eine proaktive Risikoprävention und eine verbesserte Verfügbarkeit und Nutzung von Finanzinformationen durch die FIU. Dazu gehören beispielsweise der Zugang zu Massendaten und Analyseinstrumenten, um die Wirksamkeit und Effizienz der FIU-Analysen zu erhöhen und eine intensivere Koordination und Zusammenarbeit zwischen FIU und Strafverfolgungsbehörden zu ermöglichen. Diese Hinweise gilt es zu analysieren, nicht am grünen Tisch, sondern in Zusammenarbeit mit Fachleuten und Praktikern. Danach sollte die Umsetzung kurzfristig realisiert werden, idealerweise unter Einbindung der nun geplanten neuen Bundesbehörde für Geldwäschebekämpfung.

Bargeldintensität Deutschlands als Risiko

Generell hat die FATF die Bargeldintensität und die nicht lizensierten Geldtransferdienstleister als besonderes Risiko adressiert. Dass Deutschland als bargeldintensives Land gilt und die organisierte Kriminalität dieses in der Vergangenheit zum Platzieren von inkriminierten Geldern genutzt hat, ist keine neue Erkenntnis. Die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die europäische Zinspolitik, hat in den letzten Jahren zu einer Flucht in Sachwerte geführt. Beispielhaft sei der Immobiliensektor genannt. Einer der Hauptkritikpunkte der FATF ist, dass Immobiliengeschäfte in Deutschland nach wie vor bar abgewickelt werden können. Für die Kreditwirtschaft hat dies zur Folge, dass ein noch stärkerer Fokus auf Bartransaktionen gelegt werden muss als in der Vergangenheit. Durch den Kostendruck und die sinkenden Margen sind die Institute allerdings dazu übergegangen, ihre Services im Zusammenhang mit Bartransaktionen vermehrt über Automaten abzuwickeln. Sicherlich hat die Regelung des Herkunftsnachweises für Bareinzahlungen über 10.000 Euro zu einer Sensibilität bei den Verpflichteten geführt. Allerdings hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in ihrem Journal von August 2021 kommuniziert, dass die Institute die Besonderheiten der jeweiligen Geschäftsbeziehung berücksichtigen können, um so zu einer risikoorientierten sowie praxisgerechten Verfahrensweise zu gelangen. Dieses lässt naturgemäß jede Menge Gestaltungs- und Interpretationsspielraum für die Kreditwirtschaft offen. Es lässt den Verpflichteten den Spielraum offen, von welchem Kunden und in welcher Form der Herkunftsnachweis erbracht werden muss. Dass solche Problemfelder auch anders adressiert werden können, haben Länder wie beispielsweise Spanien mit einer Obergrenze von 2.500 Euro bzw. Italien mit einem Höchstbetrag von 1.000 Euro schon umgesetzt. Bareinzahlungen oberhalb dieses Betrages werden grundsätzlich abgelehnt.

Problemfeld „Money Value Transfer Services“

Ein besonderes Problemfeld stellen die informellen „Money Value Transfer Services“ (siehe auch MVTS im #AML Glossar) dar. Während die registrierten und etablierten MVTS-Anbieter auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften achten und durch die "Financial Intelligence Unit (FIU)“ für auffällige Sachverhalte bzw. Indikatoren sensibilisiert werden, stehen die informellen MVTS im Fokus der FATF. Fälle wie die Großrazzia des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) am 12. November 2019, bei der im Großraum Duisburg in einem Juwelierladen große Mengen Bargeld und Goldbarren sichergestellt wurden, sind scheinbar nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt wurden mehr als 200 Millionen Euro ohne jegliche Namens- und Sanktionsprüfung in das Ausland geschleust. Damit adressiert die FATF eines der Hauptprobleme Deutschlands, die Prävention und Kontrolle der sogenannten „Designated Non-Financial Businesses and Professions“ (siehe auch DNFBPs im #AML Glossar) (Empfehlungen 18 und 23 der FATF). Das Ergebnis der Prüfung dieses Kreises der Verpflichteten war einer der Hauptkritikpunkte. Es wurde Deutschland bescheinigt, dass erhebliche Anstrengungen zeitnah notwendig sind, um den Anforderungen der FATF gerecht zu werden.

Deutschland befindet sich mit dieser Feststellung in „bester“ Gesellschaft, denn Ländern wie Großbritannien, Schweiz oder den Vereinigten Staaten von Amerika wurde der gleiche Defizitlevel bescheinigt. Selbst die am Tage der Veröffentlichung des deutschen Reports noch hochgelobten Niederlande stehen vor der gleichen Herausforderung. Hier dürfte ein erster sinnvoller Schritt die Zentralisierung der über 300 Aufsichtsbehörden in Deutschland für diesen Bereich sein. Damit einhergehend sollten einheitliche Standards und sachgerechte, risikoorientierte Prüfungen − ähnlich denen, die aus der Bankenlandschaft bekannt sind − etabliert werden. Hier wäre auch eine Abstimmung mit den zuvor genannten Ländern sinnvoll, um Synergieeffekte zu erzielen und Ziele und Maßnahmen gemeinsam, idealerweise in Abstimmung mit der FATF, zu definieren.

Vermögensabschöpfung effektiv umsetzen

Adressiert wurde ebenfalls die Thematik der Vermögensabschöpfung. Ziel ist es, die illegal erworbenen Vermögenswerte den Tätern zu entziehen. Hier werden Deutschland massive Fortschritte bescheinigt. Bis Deutschland in diesem Bereich aber an die Effektivität anderer Länder heranreicht, ist noch ein langer Weg zu gehen. Während in Deutschland nach wie vor die Beweislast beim Staat liegt, haben andere Länder längst vorgemacht, wie eine Vermögensabschöpfung effektiv umgesetzt werden kann. Auch wenn es in Deutschland erste Ansätze gibt, das System der Beweislastumkehr abzuschaffen, wird abzuwarten sein, inwieweit solche Fälle durch die Gerichte positiv beschieden werden.

In Italien muss ein Beschuldigter nachweisen, dass er nicht in illegale Geschäfte verwickelt ist. Dort kann eine Villa eingezogen werden, sofern der Besitzer nicht nachweisen kann, dass sie mit legalen Geldern gekauft wurde. Ähnliches gilt für Großbritannien. Britische Gerichte können Verdächtige dazu zwingen, die Herkunft der Vermögenswerte offenzulegen. Sie haben die Möglichkeit, Vermögenswerte so lange einzuziehen, bis der wirtschaftlich Berechtigte erklärt, woher die Gelder stammen.

Probleme der FIU

Erhebliche Kritik gibt es an der Effektivität der FIU, der beim Zoll angesiedelten Anti-Geldwäsche-Einheit. Diese kommt ebenfalls nicht überraschend, da die Medien in den vergangenen Jahren bereits mehrfach und nachdrücklich darauf hingewiesen haben, dass es offensichtlich Probleme bei der Bearbeitung bzw. Nachverfolgung von Fällen gibt. Sachverhalte wie die liegengebliebenen Verdachtsmeldungen im Wirecard-Skandal, die Durchsuchung der Räumlichkeiten der FIU aufgrund von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück sowie die Vielzahl der allgemein unbearbeiteten Fälle bei der FIU in der Vergangenheit wurden nicht explizit thematisiert. Sie führen allerdings zu einer negativen Wahrnehmung bei der Bevölkerung, den Verpflichteten und letzten Endes auch bei der FATF. Der FIU zugutehalten muss man bei aller Schelte aber auch ihre Abhängigkeit von den Informationen, die ihr durch die Meldenden zur Verfügung gestellt werden, und deren Qualität. Sofern die FIU Verdachtsmeldungen erreichen, die unvollständig sind bzw. nicht korrekte Daten enthalten, sind den Möglichkeiten der FIU – auch bezogen auf die internationale Zusammenarbeit - Grenzen gesetzt. Welche Auswirkungen mangelhafte Datenqualität auf die Compliance haben kann, kann im #rethinkcompliance Blog nochmal nachgelesen werden.

Herausforderungen

Dass Deutschland gewillt ist, die Anforderungen der FATF zu erfüllen, zeigt der durch Finanzminister Christian Lindner angekündigte Paradigmenwechsel in der Bekämpfung der Geldwäsche, u.a. durch die Schaffung einer neuen Bundesbehörde. Diese allein wird jedoch die bestehenden Probleme nicht lösen. Es erfordert enorme Anstrengungen und eine Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Behörden und Bereichen, um die Arbeit effektiv zu gestalten. Dieses gilt nicht nur für den Finanzsektor, sondern auch in ganz besonderem Maße für den Nichtfinanzsektor und die oben bereits genannten DNFBPs.

Deutschland muss innerhalb eines Jahres die FATF über die ergriffenen Maßnahmen und Fortschritte unterrichten. Daher bleibt keine Zeit, den Dingen zu harren, die da kommen. Auf die BaFin, die weiteren Verpflichteten sowie den Finanzsektor kommen große Herausforderungen zu, um den Erwartungen der FATF auch nur ansatzweise gerecht zu werden.

23.

Aug

Der Anfang vom Ende?

Das grundlegende Konzept der "ausländischen Kämpfer" ist keine moderne Erfindung. In der Vergangenheit haben Kämpfer aus dem Ausland an mehreren Bürgerkriegen teilgenommen. Ein klassisches Beispiel sind die Internationalen Brigaden, eine militante Gruppe, die sich aus freiwilligen ausländischen Kämpfern aus 50 verschiedenen Ländern zusammensetzte und am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm. In der heutigen Zeit hat die Definition „ausländische terroristische Kämpfer“ jedoch an Bedeutung gewonnen, nachdem sie in der Resolution 2170 (2014) des Sicherheitsrats nach der Irak-Krise angenommen und in der Resolution 2396 (2017) des UN-Sicherheitsrats bekräftigt wurde. In einem kürzlich veröffentlichten gemeinsamen Bericht der Asia/Pacific Group on Money Laundering (APG) und des Global Center on Cooperative Security wurde versucht, die Nuancen der Verhaltens- und Finanzprofile solcher Kämpfer in Südostasien zu erforschen. Hierfür sind von den Financial Intelligence Units (FIUs) in dieser Region Finanzinformationen gesammelt und genutzt worden, um die katalytische Wirkung von ausländischen Kämpfern auf terroristische Aktivitäten zu analysieren und zu bekämpfen. 

Der Tod von Abu Bakr al-Baghdadi, dem Anführer von ISIS im Jahr 2019, führte zur sofortigen Ernennung von Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi als nachfolgendem Anführer des Islamischen Staats.[1] Er war Politiker und ehemaliger Angehöriger der irakischen Armee, der Saddam Hussein gedient hatte, und wurde Anfang des Jahres bei einem US-Angriff in Nordsyrien getötet.[2] Er stand zudem auf der OFAC-Liste der "Specially Designated Global Terrorists", was uns zu der Frage bringt: Ist dies der Anfang vom Ende des gewalttätigen Terrorismus, der von einer der mächtigsten extremistischen Organisationen der modernen Geschichte verübt wird? Vielleicht nicht. Angesichts der abnehmenden Bedeutung und des schwindenden Einflusses des IS in den letzten Jahren beginnen sich mehrere Pro-ISIS-Ableger neu zu gruppieren, in der Hoffnung, den IS mit allen verfügbaren Mitteln wiederzubeleben, einschließlich Rekrutierung ausländischer Kämpfer und Aufnahme und Einsatz der Rückkehrer in ihren jeweiligen Heimatländern. Zu diesen Ableger-Organisationen gehören mehrere militante Gruppen in Südostasien wie Tawhid-wal Jihad, Katibah Nusantara (eine Gruppe, die für die Terroranschläge von 2016 in Jakarta verantwortlich ist), die Maute-Gruppe, FAKSI (eine Gruppe aus Java, Indonesien, die sich zum ISIS bekennt) und viele andere. Es gibt bereits eine wachsende Besorgnis darüber, dass ausländische Kämpfer über soziale Medien von mehreren ISIS-Mitgliedsorganisationen, Sympathisanten und Rückkehrern aus dem asiatisch-pazifischen Raum rekrutiert werden.[3]

Dieser Artikel bewertet die von ausländischen terroristischen Kämpfern ausgehenden Bedrohungen sowie die derzeit eingesetzten Systeme zur Identifizierung ihrer taktischen Methoden und "Ausweichmanöver".[4] Darüber hinaus wird versucht, die Bewegungen, Finanzprofile und Transaktionsmuster sowie die potenziellen „Red Flags“ zu verstehen, die zu Aufdeckung und Strafverfolgung führen. Und schließlich soll der Artikel Compliance- und Geldwäschebeauftragten sowie Finanzanalysten im Bereich der Terrorismusbekämpfung auch als zusätzliche Wissensquelle zur Profilerstellung dienen.

Wer sind die ausländischen terroristischen Kämpfer?

Um wirksam und effizient auf unmittelbare, wieder aufkommende terroristische Bedrohungen reagieren zu können, müssen nicht nur die Mechanismen der Transaktions- und Verhaltensmuster, die geografischen Ausgangs-, Transit- und Zielorte der ausländischen terroristischen Kämpfer sowie die Rückkehrer identifiziert werden. Es muss auch die Definition, wie sie in den Resolutionen 1373 (2001), 2462 (2019) und 2178 (2014) des UN-Sicherheitsrats beschrieben ist, verstanden werden.

Gemäß der Resolution 2178 des UN-Sicherheitsrates:

“foreign terrorist fighters (FTFs) are those individuals who travel or attempt to travel to a State other than their States of residence or nationality, and other individuals who travel or attempt to travel from their territories to a State other than their States of residence or nationality, for the purpose of the perpetration, planning, or preparation of, or participation in, terrorist acts, or the providing or receiving of terrorist training , including in connection with armed conflict.”[5]

Für die Planung, Vorbereitung und den Einsatz dieser Kämpfer werden Mittel benötigt. Deshalb ist es wichtig, die geografische Ausdehnung und die Bewegungsphasen zu verstehen. Dazu gehören der Ausgangspunkt, die Transitrouten und die verschiedenen Finanzierungsmittel, mit denen die Kämpfer in die Lage versetzt werden, ihre terroristischen Aktivitäten an den vorgesehenen Orten durchzuführen. Die folgende Abbildung zeigt die gängigsten Methoden für Geldbewegungen im Zusammenhang mit Terrorkämpfern.

FTF Gelder

Erhebungen von APG-Mitgliedern, Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten haben ergeben, dass die ausländischen Kämpfer und ihre Rekrutierungsagenten in großem Umfang auf Anbieter von Geldtransferdiensten (mit/ohne Lizenz), Banküberweisungen und Barabhebungen im In- und Ausland zurückgreifen.

Wiederkehr der Kämpfer & Treiber für Aktivitäten

Einer der Gründe, warum ISIL-Ableger Südostasien für die Rekrutierung ins Visier nehmen, ist der Einfluss der ISIS-Extremisten auf neue Kämpfer, welche die Gruppe als den wahren Träger der Dschihad-Prinzipien betrachten, die sie seit langem hochhalten. Ein weiterer Faktor für die Wiederkehr von ausländischen Kämpfern im Südosten außerhalb von Daesh/ISIS ist der positive Einfluss verzerrter Schilderungen ehemaliger Mitglieder auf neue Kämpfer. Deren Motivationen beruhen auf einer komplexen Mischung aus sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ideologischen und persönlichen Gründen. Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und fasst die wichtigsten Motivationsfaktoren für ausländische terroristische Kämpfer zusammen.[6]

  • Religiöse Narrative innerhalb eschatologisch orientierter und fehlgeleiteter Menschen, die unter der Herrschaft des so genannten Kalifats leben wollen
  • Ideologische Überzeugung
  • Der Wunsch, die schlechten politischen und humanitären Bedingungen zu verbessern, die auf die Gräueltaten des syrischen Bürgerkriegs und der unterdrückerischen Diktatur in Syrien zurückzuführen sind (typischerweise ein Konfliktgebiet im weiteren Sinne)
  • Gefühl der Zugehörigkeit, Abenteuer, Respekt, Chancen auf wirtschaftlichen Aufstieg, Beschäftigung, Heirat und andere materielle Vorteile

Insbesondere nach dem territorialen Zusammenbruch des Islamischen Staates im Irak und in der Levante konzentriert sich die Rekrutierung von Kämpfern auf Einzelpersonen und ihre Familien, die in Lagern festgehalten werden, in ihre Herkunftsländer zurückkehren oder in ein Drittland reisen, sowie auf Kinder ausländischer Kämpfer. Mehrere Staaten haben ihnen jedoch die Staatsbürgerschaft entzogen, um ihre Rückkehr zu verhindern, wodurch sie staatenlos wurden.

Nutzung von Erkenntnissen aus dem Finanzbereich im Kampf gegen ausländische Terrorkämpfer

Neben einem allgemeineren Ansatz für die Identifizierung von „Red Flag“-Indikatoren, die auf terroristische Aktivitäten hinweisen, könnten detailliertere Informationen den Akteuren des Privatsektors bei der Aufdeckung und Unterbindung von verdächtigen Transaktionen im Zusammenhang mit ausländischen Kämpfern oder Terrorismusfinanzierungsaktivitäten helfen.

Beispiel: Informationen über ein ganz bestimmtes geografisches Gebiet, das als Terroristen-Hotspot gilt, werden es Meldepflichtigen in Zukunft ermöglichen, sowohl ihr Risiko der Terrorismusfinanzierung besser zu steuern als auch mehr verwertbare und nützliche Finanzinformationen zu melden.

Die nachstehende Abbildung zeigt ein typisches Bewegungsmuster ausländischer Kämpfer, das in vier bis fünf Phasen unterteilt werden kann.

FTF Bewegungsmuster

Vor Abreise

  • Vorgeplante Einstellung der Kontobewegungen durch den Kämpfer
  • Kontoauszüge, aus denen hervorgeht, dass persönliche Gegenstände vor dem Reisedatum verkauft wurden
  • Kauf von Flugtickets in der Nähe von Konfliktgebieten
  • Kontobewegungen, die auf Gelder aus Sozialhilfe, Studiendarlehen oder anderen Kreditprodukten hinweisen
  • Spenden an gemeinnützige Organisationen, die mit Terrorismusfinanzierung in Verbindung gebracht werden
  • Verwendung von Geldern für andere reisebezogene Dinge

Auf dem Weg

  • Irrationale Strecke von Reiserouten in die Konfliktzone mit mehreren Reisemitteln
  • Hinweis auf eine Reise in ein Drittland über ein Konfliktgebiet, aber finanzielle Aktivitäten, die auf eine unvollständige Reise hindeuten
  • Finanzielle Aktivitäten entlang des Korridors zu einer Konfliktzone
  • Empfang von Überweisungen innerhalb oder entlang der Grenze eines Konfliktgebiets

Im Einsatzgebiet

  • Eingehende Geldüberweisungen von Freunden und Verwandten oder terroristischen Komplizen
  • Konto wird inaktiv
  • Medienberichterstattung über einzelne Reisende in Konfliktgebiete

Rückkehr

  • Ruhendes Konto wird plötzlich aktiv
  • Neue Einnahmequellen
  • Atypische inländische oder internationale Geldüberweisungen


Aktuelle Herausforderungen

Die Einstufung als ausländischer terroristischer Kämpfer hängt von der nationalen Gesetzgebung ab, die sich an der internationalen Standarddefinition orientiert, ob es sich bei den verdächtigen Personen um "FTFs" oder bei den Gruppen, denen sie sich anschließen, um "benannte terroristische Vereinigungen" handelt. Dies kann zu Unstimmigkeiten bei der Anwendung der FTF-Terminologie führen. Deshalb ist es zwingend erforderlich, eine weltweit akzeptierte Standarddefinition anzunehmen, die zwischen den Begriffen ausländische terroristische Kämpfer, allgemeine Terroristen und solchen, die mit einem bewaffneten Konflikt zusammenhängen, unterscheidet.

Darüber hinaus sind die derzeitigen Indikatoren für ausländische terroristische Kämpfer recht weit gefasst und stark auf den geografischen Standort der Transaktionen ausgerichtet, die mit Reisen in ein Konfliktgebiet oder eine Grenzregion verbunden sind, ohne dass festgestellt werden kann, ob es sich um rechtmäßige oder unrechtmäßige Transaktionen handelt. Das Fehlen derartiger Informationen sowie das allgemeine Profil bleiben eine praktische Herausforderung nicht nur für die Definition und Identifizierung solcher Kämpfer, sondern auch für die Analyse ihrer finanziellen, verhaltensmäßigen und geografischen Bewegungen.

Die Verwendung von Bargeldtransaktionen zwischen unbekannten, nicht miteinander verbundenen Personen und der grenzüberschreitende Charakter von Transaktionen in diesem Kontext stellen zusätzliche Herausforderungen dar. Da Zoll- und Grenzbeamte die erste Verteidigungslinie bei der Bekämpfung sind, könnte ihre Einbeziehung in den politischen Rahmen für eine wirksame Identifizierung und eine angemessene Reaktion auf Aktivitäten ausländischer terroristischer Kämpfer von Vorteil sein.

Eine weitere Herausforderung ist das Fehlen eines soliden Feedback-Kanals: In den Transaktionsbeziehungen zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Finanzinstituten fehlt es an Rückmeldungen über die Qualität und Nützlichkeit der Informationen. Dies bleibt für die Ermittlungsbehörden bei ihren gemeinsamen Bemühungen gegen ausländische Terroristen ein Engpass. Die inländische Kommunikation zwischen dem Finanz- und Privatsektor und den zentralen Meldestellen und den Strafverfolgungsbehörden ist eine Einbahnstraße.[7] Rückmeldungen auf breiter Basis sind wichtig, nicht nur in Bezug auf bestimmte Fälle. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die korrekte Kennzeichnung von Informationen zu validieren und die Berichterstattung zu verbessern. Dies wird den FIUs helfen, die Verfeinerung der Indikatoren, die Qualität und Zuverlässigkeit von Verdachtsmeldungen sowie strategische und umsetzbare Erkenntnisse zu verbessern.

Schlussfolgerung

Einige APG-Mitglieder arbeiten kontinuierlich an der Entwicklung von Rechtsrahmen und der Stärkung ihrer innerstaatlichen AML/CFT-Strategien und -Verfahren, um Aktivitäten ausländischer terroristischer Kämpfer und Terrorismus insgesamt zu verhindern. Andere Staaten müssen erst noch einen klar definierten AML-Rahmen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und zum Abfangen terroristischer Aktivitäten einrichten (und, wo dies bereits geschehen ist, verstärken).

Regierungen müssen sich auch bewusst sein, dass die Grenzen zwischen Menschenrechtsverletzungen, Kategorisierung ausländische terroristische Kämpfer, bewaffnete Konflikte und allgemeiner Terrorismus verschwimmen. Zwar haben mehrere Rechts- und Compliance-Experten, FIUs und Strafverfolgungsbehörden Fälle im Zusammenhang mit ausländischen Terrorkämpfern untersucht und eine erste Basis „roter Flaggen“ und Indikatoren zur Identifizierung entwickelt, doch gibt es nach wie vor praktische Herausforderungen, um sie explizit zu identifizieren. Derzeit sind nur wenige Daten über inhaftierte ausländische terroristische Kämpfer verfügbar, da viele der bereitgestellten Informationen unzuverlässig und verzerrt sind.

Eine Kombination von Faktoren wie die Erstellung von Sozial- und Verhaltensprofilen, die Analyse von Geolokalisierung und Reisemustern, das Verständnis irrationaler Kontobewegungen und eine robuste Feedback-Kommunikation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den FIUs wird jedoch dazu beitragen, dass die Region gegen destabilisierende ausländische terroristische Kämpfer gewappnet ist.

 

[1]Islamic State group names its new leader as Abu Ibrahim al-Hashemi - BBC News

[2]Islamic State leader Abu Ibrahim al-Qurayshi killed in Syria, US says - BBC News

[3]Southeast Asian Analysts: IS Steps Up Recruitment in Indonesia, Malaysia, Philippines

[4]Publication of Financing and Facilitation of FTFs and Returnees in Southeast Asia Report

[5]Investigation, Prosecution and Adjudication of Foreign Terrorist Fighter Cases for South and South-East Asia (unodc.org)

[6]Foreign Terrorist Fighters - Manual for Judicial Training Institutes South-Eastern Europe

[7]Publication of Financing and Facilitation of FTFs and Returnees in Southeast Asia Report

 

 

02.

Aug

Der überwiegende Teil der Finanzwelt hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten enorme Summen investiert, um den regulatorischen Anforderungen im Bereich Compliance vollumfänglich gerecht zu werden. Dieses fängt bei der Gewinnung und Ausbildung von qualifiziertem Personal an und endet bei der Umsetzung der regulatorischen Erfordernisse, die aufgrund neuer Services, Produkte und Prozesse einem ständigen Wandel unterzogen sind. Mit großem Aufwand sind Screening- und Monitoring-Softwaresysteme implementiert worden, um Transaktionen auf Anhaltspunkte für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu überprüfen.

Was aber oftmals nicht im Fokus stand, war die notwendige Analyse der Qualität der zu verarbeitenden Daten. Sie bildet die Basis, um die Systeme adäquat betreiben zu können. Der Umgang mit fehlenden bzw. falschen Daten hat enorme Auswirkungen auf die Effektivität der Compliance und stellt ein hohes Risiko dar, im Rahmen von internen oder externen Prüfungen die regulatorischen Anforderungen nicht zu erfüllen.

Falsche bzw. fehlende Daten haben zur Folge, dass die in den Systemen hinterlegten Parameter nicht wirken können, wie es aus der Sicht der Compliance und aus regulatorischer Sicht notwendig wäre. Dies kann einerseits zu einer Vielzahl von falschen Treffern in den Systemen führen, die dann automatisiert oder manuell geschlossen werden müssen − unter Berücksichtigung der notwendigen Anforderungen an die Qualität der Dokumentation. Auf der anderen Seite können Transaktionen nicht auffällig werden oder die vorgeschriebene Kundenrisikoklassifizierung kann nicht wie erforderlich und gesetzlich vorgeschrieben erfolgen.

Um die Auswirkungen der Erfassung von falschen Daten einmal zu skizzieren, betrachten wir den folgenden Sachverhalt beispielhaft:

  • Es kommt zur Begründung einer Geschäftsbeziehung mit einem MSB (Money Service Business).
  • Basierend auf der Empfehlung 14 der FATF sollte geprüft werden, ob es sich um einen lizensierten Provider handelt.
  • Dieses gilt für natürliche und juristische Personen ohne jegliche Einschränkung.
  • Wenn im Rahmen des Kundenannahmeprozesses der „Sector of Activity“ nicht richtig erfasst wird, können alle weiteren definierten Maßnahmen ihre Wirkung nicht entfalten, wie
    • Approval bei der Kundenannahme
    • Adäquate Kundenrisikoklassifizierung
    • Zuordnung zur richtigen Risikoklasse
    • Zeitraum der Datenaktualisierung
    • Überleitung in das Monitoringsystem
    • Angemessene Überwachung in den Zahlungssystemen
    • U.U. falsches / unvollständiges Reporting

Neben der Erfassung solcher Daten zählt die Pflege der kundenbezogenen Stammdaten zur elementaren Basis einer sachgerechten Compliance. Nur mit vollständigen, aktuellen und richtigen Daten ist eine Analyse der Aktivitäten eines Kunden überhaupt erst möglich. Sollte es im Rahmen der Recherchen dazu kommen, dass die Compliance-Abteilung sich dazu entschließt, eine Meldung an die FIU zu erstatten, ist die Behörde nur dann in der Lage, Fälle zu analysieren und die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, wenn ihr vollständige und korrekte Daten übermittelt wurden.

Nur vollständige und korrekte Daten erlauben es den Verpflichteten, die Empfehlung 16 der FATF bei Auslandsüberweisungen zu erfüllen. Nur mit vollständigen und korrekten Daten sind darüber hinaus die kontinuierlichen Prüfungen des Kundenbestands gegen die Sanktions- bzw. PEP-Listen möglich.

In diesem Jahr und in den nächsten Jahren wird eine Vielzahl von Financial Intelligence Units (FIUs) die Software goAML des UNODC für eine effektivere Verfolgung von Meldungen grenzüberschreitend einsetzen. Diese Anstrengungen können aber nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn die an die FIU elektronisch übermittelten Daten korrekt und vollständig sind.

In einem ersten Schritt ist daher von Finanzinstituten zunächst zu ermitteln, ob Kundenstammdatensätze mehrfach in den Kernbankensystemen hinterlegt sind. Sollte dieses der Fall sein, wird dringend empfohlen, gleiche Kundendatensätze zu verschmelzen, um ein einheitliches Bild über das Gesamtengagement zu bekommen.

Weitere Schritte sind die Prüfung einzelner Informationen wie

  • Nachname
  • Vorname
  • Geburtsdatum
  • Geburtsort
  • Anschrift
  • Passdaten

auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit.

Die Vollständigkeit der Daten beschränkt sich aber nicht nur auf die Stammdaten des Kunden. Wichtig ist darüber hinaus regelmäßig zu prüfen, ob die an die Research-Systeme übergebenen Transaktionsdaten vollständig und korrekt übergeben und verarbeitet werden. So kann beispielsweise das fehlende Länderkennzeichen bei einer Auslandstransaktion dazu führen, dass in einem Monitoringsystem wichtige Sachverhalte nicht auffällig werden, obwohl diese Daten vorhanden sind. Denn ohne das entsprechende Länderkennzeichen können grenzüberschreitende Transaktionen im SWIFT-Netz nicht verarbeitet werden. 

Insofern stehen die Verpflichteten vor der ständigen Herausforderung, sich nicht nur mit den regulatorischen Anforderungen auseinanderzusetzen. Sie haben auch dafür Sorge zu tragen, dass ein in seiner Gesamtheit geschlossenes System sicherstellt, alle regulatorischen Anforderungen erfüllen zu können.

29.

Apr

MX ISO 20022-Implementierung, grenzüberschreitende Transaktionen und die Auswirkungen auf Compliance-Projekte

Die Umstellung von Transaktionen auf das neuere ISO 20022-Format hält die Banken derzeit auf Trab. Welche Auswirkungen hat dies auf die Prüfung von Sanktionen bei grenzüberschreitenden Transaktionen? Dieser Artikel fasst einige Erfahrungen zusammen, die im Rahmen von Compliance-Projekten gesammelt wurden.

In den Banken laufen derzeit viele Projekte, die sich auf das Nachrichtenformat bei grenzüberschreitenden Transaktionen beziehen. Das wichtigste Schlagwort dabei ist ISO 20022. Dabei handelt es sich um eine ISO-Standardspezifikation für Nachrichten, die im internationalen Bankverkehr verwendet werden. Die Bedeutung dieses Formats, insbesondere in Europa, ergibt sich aus zwei laufenden Implementierungsänderungen:

  1. Das europäische Target-Konsolidierungsprojekt Target 2/T2
  2. Die Umstellung des SWIFT-Netzwerks auf CBPR+

Diese beiden Änderungen im Zusammenhang mit dem Transaktionsnachrichtennetzwerk werden die technische Implementierung von Nachrichten in den jeweiligen Netzwerken verändern und im November 2022 in Betrieb gehen. Während die Target-Konsolidierung zu diesem Zeitpunkt mit einem großen "Big Bang" in Betrieb gehen wird, beginnt die CBPR+-Implementierung mit einer Übergangsphase, die 2025 endet. Die Teilnehmer werden ihre Prozesse und technischen Systeme anpassen und migrieren müssen.

ISO20022 Compliance und Clearing Systeme

Generell verbreiten sich dieser XML-basierte Nachrichtenformatstandard und seine verschiedenen Nachrichtentypen weltweit immer mehr. Die Harmonisierung des Nachrichtenformats ist ein großer Vorteil, der immer einer der Hauptgründe für die Umstellung ist.

Die Änderung des technischen Formats innerhalb einer Bank ist jedoch eine gewaltige Aufgabe. Möglicherweise müssen Teile der technischen Infrastruktur geändert werden. Mehrere Anwendungen, die an der Nachrichtenverarbeitung beteiligt sind, müssen evaluiert, aufgerüstet oder ersetzt werden – vom Zahlungssystem bis hin zu Compliance-relevanten Komponenten wie Anwendungen zum Transaktionsscreening. Das Format der Datenzuordnung der Bank muss definiert, implementiert und überprüft werden. Die Einbindung und Abstimmung der Abteilungen innerhalb der Bank sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Veränderungen. Häufig ist externe Unterstützung erforderlich, um den Arbeitsaufwand zu bewältigen.

Compliance-Anwendungen, wie z. B. Echtzeit-Sanktionslistenprüfungen, sind ein Teil des Puzzles bei dieser Umstellung, kommen aber manchmal erst sehr spät ins Spiel. Für die Compliance einer Bank ist es jedoch entscheidend, dass diese Komponenten ordnungsgemäß funktionieren.

Technisch gesehen wird das XML-basierte Format bereits innerhalb des europäischen Target-Netzwerks für SEPA-Transaktionen neben dem MT FIN-Format verwendet. Im Detail verwendet SEPA ein Format, das auf dem ISO 20022-Standard basiert. Auf den ersten Blick sieht es ähnlich aus wie das neue Format im Rahmen der Änderungen, aber die kleinen Unterschiede in der Implementierung können viel Aufwand verursachen, damit die neuen Nachrichtentypen funktionieren.

Eine weitere wichtige Änderung in diesem T2-Netzwerk besteht darin, dass den Banken mehr funktionale Optionen zur Verfügung stehen, z. B. Liquiditätsmanagement und Sofortzahlungsabwicklung. Der gesamte Prozess der Clearing-Änderungen und die Funktionalität für Sofortzahlungen erfordern sehr kurze Verarbeitungszeiten für Nachrichten. Diese Funktionen nutzen zusätzliche technische Nachrichtentypen, die technische Änderungen in Bezug auf die Formate erforderlich machen sowie andere Erwartungen an die Verarbeitungszeit haben.

Weltweit wird derzeit im SWIFT-Netz neben dem MX-Format das Nachrichtentextformat (MT) verwendet. Da das MT-Format veraltet ist und zu viele Nachteile aufweist, muss es ersetzt werden. Eine Umstellung der Nachrichtentypen im Laufe der Zeit ist bereits vorgesehen.

Neben der Harmonisierung liegt ein wesentlicher Vorteil von MX- gegenüber MT-Nachrichten in den besser strukturierten Daten. Ein Beispiel ist die Unterscheidung zwischen Namens- und Adressinformationen:

ISO20022 Unstrukturierte vs Strukturierte Daten

Gibt es Auswirkungen auf Compliance-Systeme, die grenzüberschreitende Transaktionen mit Sanktionslisten abgleichen?
Die allgemeine Antwort lautet ja, da dies Teil der Prozesskette der Nachrichten ist. Bei der Planung dieser Änderungen ist es wichtig, die Compliance-Abteilung mit ihren geschäftlichen Anforderungen und der technischen Umsetzung so früh wie möglich in die Diskussion einzubeziehen. Art und Umfang der notwendigen Änderungen hängen von mehreren Aspekten ab. Zwei Hauptaspekte, mit denen man bei Projekten konfrontiert wird, sind:

  1. Banken nutzen unterschiedliche Nachrichtenformate für unterschiedliche Geschäftsprozesse in unterschiedlichen Netzen: Es kann der Fall sein, dass in der Bank derzeit nur MT-Transaktionen mit wenigen Nachrichtentypen verwendet werden oder dass die Bank eine Vielzahl von Angeboten hat, die alle Nachrichtentypen erforderlich machen.
  2. In einigen Banken ist der ISO-Standard bereits bekannt und in Verwendung. Daher sind möglicherweise nur kleine netzwerkspezifische Anpassungen erforderlich. Für Kunden, die derzeit nur MT-Nachrichten verwenden, stellt dies jedoch eine große Umstellung dar.

Welche Auswirkungen ergeben sich aus der Sicht regulatorischer Compliance?
Erste große Frage: Werden XML-basierte Nachrichten bereits verwendet? Falls sie noch nicht verwendet werden, kann der Aufwand für die Implementierung der Datenlieferung einschließlich der Datenzuordnung, der Konfiguration des Systems und des Testens der Implementierung von T2/CBPR+-Änderungen erheblich sein. Dieser Aufwand verringert sich bis zu einem gewissen Grad, wenn XML-basierte Nachrichten bereits im Einsatz sind (z. B. für SEPA). Die Anwendungen verfügen möglicherweise bereits über eine grundlegende fachseitige Konfiguration und die Mitarbeiter haben Erfahrung im Umgang mit XML-Nachrichten. In jedem Fall sollte die Einrichtung anhand der fachlichen Erwartungen getestet werden, um die Funktionalität der Anwendung für die Compliance-Abteilung sicherzustellen.

Technisch gesehen handelt es sich um eine Formatänderung, die in allen Anwendungen und Zahlungsströmen umgesetzt werden muss. Der Integrationspunkt der Lösung für das Sanktionsscreening ist ein Faktor: Liest die Sanktionsscreening-Software die Original-Nachrichten so, wie sie sind, oder wird sie von einer anderen Anwendung aufgerufen und die Schnittstelle verwendet proprietäre Datenfelder, die von der aufrufenden Anwendung vorbereitet wurden?

Abhängig von diesem Faktor muss entweder die gesamte Anwendung für die neuen Nachrichten vorbereitet und erneut getestet werden oder die Implementierungsänderung muss in der aufrufenden Anwendung vorgenommen werden. Die Gesamtlösung muss jedoch erneut getestet werden, um eine ordnungsgemäße Sanktionslistenprüfung des Nachrichteninhalts zu gewährleisten. Es ist wichtig, dass die erforderlichen Felder, z. B. die Namen der handelnden Parteien, BIC-Codes und Kontonummern in einer Transaktion, korrekt aus dem Nachrichteninhalt gelesen und innerhalb der Compliance-Lösung verarbeitet werden.

Die Endnutzer der Compliance-Abteilung müssen möglicherweise im Umgang mit dem neuen Nachrichtenformat geschult werden. Das allgemeine Erscheinungsbild der Nachricht und der Inhalt der Felder können anders aussehen. Daher müssen möglicherweise auch die Ermittler in der effektiven Handhabung von auffälligen Nachrichten in diesen neuen Nachrichtenformaten geschult werden.

Zu berücksichtigen sind auch die Veränderungen im Volumen der verschiedenen Transaktionsformate. Dies kann für infrastrukturelle Themen wie die technische Auslegung der an den verschiedenen Zahlungsströmen beteiligten Anwendungen von Bedeutung sein. Außerdem wird erwartet, dass die Verarbeitungszeiten immer kürzer werden. In vielen Fällen werden die Systemarchitekturen so verändert, dass sie Daten rund um die Uhr (24/7) und mit hoher Verfügbarkeit verarbeiten können, sofern dies nicht bereits geschehen ist.

In den kommenden Monaten werden sich die Implementierungs- und Supportaufwände in den Projekten immer mehr auf das ordnungsgemäße Testen der technischen und fachlichen Konfiguration konzentrieren, um einen erfolgreichen Go-Live im November 2022 zu gewährleisten. Und natürlich freuen sich meine Kollegen von msg Rethink Compliance und ich uns darauf, gemeinsam mit unseren Kunden am Ziel eines auch in Zukunft technisch stabilen und funktionsgerechten Screenings ihrer grenzüberschreitenden Transaktionen zu arbeiten.

25.

Mär

Die Türkei im Widerspruch zwischen Geldwäscheprävention und Vermögensfrieden. Aber die Türkei ist nicht allein. Auch Russland hat Übung damit.

Die Türkei: ein Land zwischen Orient und Okzident, ein Land voller Gegensätzlichkeiten. Sie liegt nicht nur geographisch teilweise in Europa, sondern auch die Devise des Gründungsvaters dieser Republik lautete: Richtet euren Blick immer gen Westen und nicht nach Osten. Die Türkei galt für muslimische Länder jahrzehntelang als wegweisend und fortschrittlich. Ihr langjähriges Bestreben zur Europäischen Gemeinschaft zu gehören, hat sich in ihren Gesetzen nach europäischen Standards niederschlagen. Sie hat sich zu einem angesehenen Mitglied der internationalen Gemeinschaft entwickelt, ist Mitglied der Nato sowie der OECD, und es besteht seit 1995 ein Zollabkommen zwischen ihr und der Europäischen Union.

Als Land zwischen Tradition und Moderne war die Türkei verschiedensten politischen Strömungen ausgesetzt. Doch diverse Entwicklungen haben im Laufe der letzten Jahre zu einer massiven Wirtschaftskrise und zu einem Verfall der Rechtsstaatlichkeit geführt. Mittlerweise belegt die Türkei in der aktuellen Liste des World Justice Project[1] (WJP) den 117. Platz von 139 Plätzen weltweit in puncto Rechtsstaatlichkeit. In der Region Osteuropa und Zentralasien ist sie sogar auf den letzten Platz zurückgefallen.  

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Diese Divergenz zwischen europäischen Standards in den geltenden Rechtsvorschriften und Zuständen, die der Rechtsstaatlichkeit entbehren, spiegelt sich auch in den türkischen Bestimmungen zur Geldwäscheprävention wider. Als langjähriges Mitglied der FATF hat die Türkei alle wichtigen internationalen Abkommen im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unterzeichnet.

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Die unterzeichneten Übereinkommen sind in die eigene Gesetzgebung mit eingeflossen. 1996 wurde in der Türkei ein Geldwäschegesetz eingeführt. Im Jahr 2006 wurde es reformiert, um den internationalen Standards der FATF gerecht zu werden.

Wer sich einen Überblick über das türkische Geldwäschegesetz (GwG) verschafft, kann am Aufbau die Gemeinsamkeiten mit der deutschen Geldwäscheregelung erkennen.

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Schaut man sich die nach dem GwG Verpflichteten an, so ist auch hier ersichtlich, dass sich diese im Wesentlichen nicht von dem Kreis der Verpflichteten im deutschen GwG unterscheiden.

Verpflichtete nach dem türkische Geldwäschegesetz (Kanun 5549):

  • Banken
  • Versicherungen
  • Private Altersvorsorge
  • Kapitalmärkte, Kredite und andere Finanzdienstleistungen
  • Post und Transport
  • Im Bereich Glücks- und Wettspiele Tätige
  • Devisenhandel, Immobilien, Edelsteine und Metalle, Schmuck, Transportfahrzeuge, Baumaschinen
  • Diejenigen, die im Handel mit historischen Artefakten, Kunstwerken und Antiquitäten tätig sind oder diese Aktivitäten vermitteln
  • Notare, Anwälte
  • Sportvereine und andere vom Ministerrat bestimmte Bereiche

Trotz der vorliegenden Gesetze gibt deren Anwendung in der Praxis Anlass zur Kritik.  

Bemängelt wurde vor allem, dass die Aufsicht des Landes gegenüber Hochrisikosektoren wie Banken, Gold- und Edelsteinhändlern sowie Immobilienmaklern nicht ausreichend vorgegangen sei. Es wird befürchtet, dass u.a. terroristische Vereinigungen ihre illegal erworbenen Gelder in den türkischen Immobilienmarkt einspeisen und von dort aus in andere Bereiche integrieren. Durch die geografische Nähe zu Iran, Irak, Syrien und Libanon und die relativ durchlässigen Grenzen zur Türkei besteht zudem die Sorge, dass die Terrorismusfinanzierung keinen Halt vor den Toren Europas macht.[2]

Ferner reagierte die FATF im Oktober 2021 mit dem „Grey Listing“ auf das nach wie vor harte Vorgehen gegenüber der Zivilbevölkerung. Die konkrete Kritik richtete sich dabei gegen das „Anti-Terror Gesetz“ der Türkei zur „Verhinderung der Verbreitung der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen“. Dessen Regelungen beinhalten – anders als der Titel es vermuten lässt – keine Strafmaßnahmen oder Kontrollmechanismen gegen Geldwäsche oder die Finanzierung von Massenvernichtungswaffen zu terroristischen Zwecken. Stattdessen berechtigen sie den Staatspräsidenten, Gelder und Vermögen von Terror-Beschuldigten einzufrieren.[3]

Letztlich stand auch der Umgang der Türkei mit gemeinnützigen Organisationen im Mittelpunkt der Kritik der FATF. Bereits das Bestehen strafrechtlicher Ermittlungen wegen Terrorismusvorwürfen gegen ein Vorstandsmitglied von Initiativen, Vereinen und Stiftungen berechtigt das Innenministerium und die von der Regierung ernannten Gouverneure, die betroffenen Personen zu suspendieren, die Tätigkeit der jeweiligen Vereinigung lahmzulegen und an ihre Stelle einen Zwangsverwalter einzusetzen.[4]

Dies führte dazu, dass die Türkei von der FATF 2021 auf die „graue Liste“  gesetzt wurde. Ihr wurden z.B. Mängel bei der Umsetzung und Durchsetzung von Gesetzen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung attestiert.[5]

Schon 2019 wurden im Mutual Evaluation Report der FATF die Maßnahmen der Türkei bezüglich Anti-Money Laundering und Counter-Terrorist Financing analysiert und einige Mängel festgestellt. Infolgedessen wurden sieben vorrangige Maßnahmen gefordert. Dazu gehören beispielweise, Strategien für die Einziehung von Erträgen und Tatwerkzeugen zu entwickeln und Lücken im Rechtsrahmen zu schließen, um den Verpflichtungen in Bezug auf gezielte Finanzsanktionen im Zusammenhang mit dem Terrorismus in vollem Umfang nachzukommen. Auch gab es die Forderung, eine nationale Strategie der Türkei für die Ermittlung und Verfolgung verschiedener Arten von Straftaten im Zusammenhang mit der Geldwäsche zu entwickeln.[6]

Auf die vermeintlichen Verbesserungen ist die FATF in ihrem Follow-up-Prozess eingegangen. Dabei wurde auf die bemängelte Umsetzung der FATF-Empfehlungen eingegangen und eine Einstufung vorgenommen, ob die bemängelten Punkte zwischenzeitlich behoben oder zumindest teilweise behoben wurden.[7]

„Asset Peace“

Ein Aspekt, der in keiner der von der FATF vorgelegten Begründungen erwähnt wurde, ist der so genannte „Asset Peace“. Seit 2008 existiert dieses türkische Gesetz „Varlık Barışı“, das übersetzt Vermögensfriedensgesetz heißt.Dieses Gesetz wurde initiiert, um Geld, Gold, Fremdwährungen und andere Kapitalmarktinstrumente aus dem Ausland zu melden und in die Türkei zu bringen.

Der Inhalt dieses Gesetzes zielt darauf ab, nicht registrierte Vermögenswerte aus dem Ausland in die Türkei zu verbringen, ohne dass nach der Herkunft des in das Land eingebrachten Geldes gefragt wird und ohne, dass eine Steuerprüfung vorgenommen wird, um den „Vermögensfrieden“ zu wahren. Die im Rahmen des Asset Peace in die Türkei gebrachten Vermögenswerte werden nicht besteuert.Seit nunmehr 14 Jahren existiert dieses Gesetz, das im Sechs-Monats-Takt verlängert wird. Zuletzt wurde es in der Silvesternacht am 31.12.2021 um weitere sechs Monate verlängert.

Auch Inländer profitieren von dieser Regelung. Steuerpflichtige, die Geld, Gold, Fremdwährungen, Wertpapiere und andere Kapitalmarktinstrumente sowie Immobilien besitzen, die sich im Land befinden, aber nicht in den gesetzlichen Hauptbuchaufzeichnungen enthalten sind, können diese den Steuerbehörden melden und durch den Asset Peace legalisieren. Berechtigte sind natürliche und juristische Personen. Einzige Bedingung ist, dass die gemeldeten Vermögenswerte innerhalb von drei Monaten nach dem Datum der Benachrichtigung in die Türkei gebracht oder auf ein Konto überwiesen werden, das bei Banken oder Brokern in der Türkei eröffnet werden soll. Für die Inanspruchnahme des Asset Peace bedarf es nicht der türkischen Staatsbürgerschaft. Das ins Land gebrachte Bargeld reicht für ein Zolldokument aus.

Die offizielle Begründung lautet, dass diejenigen mit nicht registrierten Ersparnissen im In- und Ausland ihr Geld nun offiziell machen können, ohne eine Verfolgung durch die Steuerbehörden befürchten zu müssen. Der pensionierte Rechnungshofprüfer und Autor Kadir Sev wies darauf hin, dass die Umsetzung von "Asset Peace" eine der einfachsten Möglichkeiten ist, Vermögenswerte zu waschen.[8]

Es handelt sich bei dem Gesetz um eine Amnestieregelung, der zufolge es irrelevant ist, aus welchen Quellen das Vermögen stammt. Aber gerade die Prüfung der Mittelherkunft ist Grundlage der Geldwäschebekämpfung. Es ist ein widersprüchlicher Umgang mit der Geldwäschebekämpfung, wenn auf der einen Seite aufgrund des Asset Peace nicht nachgehakt wird, aus welchen Quellen das Geld bzw. die Vermögenswerte tatsächlich stammen. Auf der anderen Seite gibt es Regelungen im Geldwäschegesetz, die den internationalen Standards der FATF entsprechen.

Über Banken, Broker und zwischengeschaltete Institute kommt das Geld ins Land. Es drängt sich die Frage auf, wie sich so eine Regelung mit den AML-Bestimmungen einer Bank in Einklang bringen lässt. Handelt es sich um Schwarzgeld, Bestechungsgeld oder dienen diese Gelder der Terrorismusfinanzierung? Diese Aspekte bleiben unberücksichtigt, so dass die Banken diese Aspekte kraft Gesetzes überhaupt nicht mehr analysieren sollen und es keiner Mitteilung an das Financial Crimes Investigation Board (MASAK) bedarf. Damit wird die ureigene Aufgabe der MASAK, Geldwäsche zu bekämpfen, konterkariert.

Folgen

Vermögenswerte, die – aus welchen Gründen auch immer – zuvor staatlicher Kontrolle entzogen wurden, können durch den Asset Peace zu legalen und registrierten Vermögenswerten werden, ohne dass nach der Quelle dieser Vermögenswerte gefragt wird und Betroffene einer Steuerprüfung unterzogen werden.

Wie lassen sich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung bekämpfen, wenn nicht nach der Herkunft des Geldes gefragt wird? Vor dem Hintergrund der geographischen Lage des Landes birgt dieser Umstand enormes Potential, Drogengelder und Gelder aus Menschenhandel in der Türkei zu waschen. Auch die Steuerhinterziehung wird durch diese Regelung legalisiert. Durch die Steueramnestie entfällt die Abschreckungsfunktion, und die Bereitschaft, Steuern freiwillig zu bezahlen, sinkt. Der Verfall der türkischen Lira treibt immer mehr Menschen in die Armut. Die Auswirkungen von Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption sind einem Bericht des UN-Gremium für Transparenz und Rechenschaftspflicht zufolge, dass erforderliche Ressourcen zur Bekämpfung von Armut aufgrund von Steuerhinterziehung, Korruption und Finanzkriminalität erschöpft sind.[9]

Vor dem Hintergrund eines solchen Gesetzes erscheint es mehr als fragwürdig, dass der Asset Peace in den von der FATF beanstandeten Mängeln in der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung nicht erwähnt wird. Auch wenn die bemängelten Umstände, die dazu geführt haben, dass die Türkei auf die graue Liste gesetzt wurde, allesamt behoben werden würden, drängt sich die Frage auf, wie eine Regelung wie der Asset Peace in Einklang mit einer FATF-Mitgliedschaft zu bringen ist, welche sich der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verpflichtet hat.

Gleichzeit stellt der Asset Peace einen großen Risikofaktor hinsichtlich Geldwäsche dar. Hier stellt sich die Frage, ob diese Regelung der FATF tatsächlich nicht aufgefallen ist oder bewusst ausgeklammert wurde.

Auch wenn man Steueramnestien eine gewisse Legitimation zuspricht, indem man sich auf vermeintliche Vorteile in Bezug auf die Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen beruft, so darf es nicht sein, dass illegale Vermögenswerte unter dem Deckmantel eines Vermögensfriedens legitimiert werden.

Letztlich wird sich die Türkei früher oder später entscheiden müssen, ob sie diesen Weg weiterhin gehen oder glaubwürdig Mitstreiter der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sein möchte.

Kapitalamnestie auch in Russland

Aktuell steht Russland aufgrund der verhängten Sanktionen als Folge des Einmarsches in der Ukraine unter wirtschaftlichem Druck. Der russische Rubel ist wie die türkische Lira im Sinkflug. Aus diesen Gründen wurde in Russland eine sogenannte „Kapitalamnestie“ erlassen. Das bedeutet, dass am Fiskus vorbei ins Ausland gebrachtes Geld wieder nach Russland zurückkehren kann, ohne dass Strafen oder Steuern drohen.[10] Dies ist allerdings keine Neuheit in Russland. Bereits in der Vergangenheit gab es Amnestiegesetze der russischen Regierung. Zweck war wie beim Asset Peace eine Rückführung von sich im Ausland befindlichen finanziellen Mitteln. Dieses Angebot sollte die russische Wirtschaft mit dringend nötigen liquiden Mitteln versorgen. Als Gegenzug wurde dies ohne nachträgliche Bezahlung von Steuern ermöglicht.[11]

Noch intensiver als beim ersten Amnestieversuch 2015 wird den Russen angeboten, die von ihnen kontrollierten Unternehmen im Ausland zu schließen und das Geld zurückzubringen, ohne es nachträglich versteuern zu müssen.[12] 

Historie der Kapitalamnestie in Russland

Russland hatte eine Straffreiheit für frühere Steuer- und Devisenvergehen im Jahr 2014 eingeführt, als das Land mit massivem Kapitalabfluss, niedrigen Ölpreisen und Sanktionen des Westens im Streit über die Ukraine zu kämpfen hatte.[13] Diese erste Amnestieregelung galt von 2015 bis 2016. Sie führte zur Haftungsbefreiung bei steuerrechtlichen und strafrechtlichen Verstößen sowie bei Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem deklarierten Vermögen. Die Amnestie sei nur selten genutzt worden und ist Mitte 2016 ausgelaufen.

Die zweite Etappe der Amnestieregelung wurde vom 1. März 2018 bis 28. Februar 2019 durchgeführt und erstreckte sich auf Aktivitäten, die vor dem 01.01.2018 durchgeführt wurden. Wegen der geringen Beanspruchung der ersten Amnestieregelung wurden vor der neuen Amtsperiode des Präsidenten neue Gesetze zur zweiten Etappe der Amnestie verabschiedet:

  • Förderales Gesetz Nr. 33-FZ „Über Änderungen des Föderalen Gesetzes „Über die freiwillige Deklarierung von Vermögen und Konten bei Banken durch natürliche Personen“ sowie über Änderungen in einzelnen Rechtsakten der Russischen Föderation“ vom 19.02.2018
  • Förderales Gesetz Nr. 34-FZ „Über Änderungen im ersten und zweiten Teil des SGB RF…“ vom 19.02.2018
  • Föderales Gesetz Nr. 35-FZ „Über Änderungen in Art. 76-1 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation“ [14]

Es wurden beispielsweise Änderungen vorgenommen, wie die Abschaffung der 13-prozentigen Steuer auf zurückgeholte Mittel. Die Steuerbefreiung erstreckte sich auf Geldmittel auf Konten bei ausländischen Banken und auf ausländische Konten, die vor dem 01.01.2018 aufgelöst wurden.[15] Das Wesen der Amnestieregelung blieb allerdings unangetastet. Diejenigen, die die Amnestie in Anspruch nehmen, mussten eine spezielle Erklärung bei den russischen Steuerbehörden vorlegen und somit Informationen über ihr Vermögen und Bankkonten im Ausland sowie über ihre Beteiligungen an ausländischen Unternehmen (auch an kontrollierten Unternehmen) offenlegen. Die Strafbefreiung erfasste sowohl Verstöße gegen Devisen- als auch Steuergesetze, die im Strafgesetzbuch (Art. 193, 194, 198, 199, 199.1, 199.2), Ordnungswidrigkeitsgesetzbuch (Art. 15.1-15.6, 15.8, 15.11, 15.25) und Steuergesetzbuch der Russischen Föderation enthalten sind.[16]

Die dritte Etappe der Amnestieregelung sollte bis zum 1. März 2020 andauern. Die Zielpersonen der Amnestie waren nun Anleger und Geschäftsleute, die bereit sind, ihre Gelder auf russische Konten zu überweisen und ihre ausländischen Aktiva in die speziellen Verwaltungsgebiete in den Regionen Kalinigrad und Primorje zu verlegen.[17] Davon können Privatpersonen profitieren, sofern sie ihre Gelder von ausländischen auf russische Konten verlegen sowie ihre ausländischen Aktiva in die russischen Offshore-Zonen umregistrieren.

Gemeinsamkeiten und Legitimation

Wie auch beim Asset Peace in der Türkei ist bei der russischen „Kapitalamnestie“ eine Offenlegung der Quelle oder Herkunft des Geldes nicht erforderlich. In beiden Ländern können nicht nur die eigenen Staatsangehörige diese Regelungen in Anspruch nehmen. Die Maßnahmen gelten für russische Staatsangehörige und Ausländer mit einer Niederlassungserlaubnis. Wie auch die Türkei ist Russland Mitglied der FATF. Im Juni 2013 trat Russland der FATF bei und hat sich damit verpflichtet, sich in seiner Gesetzgebung an die FATF-Richtlinien und Maßstäbe zu halten. Auch hier sind die Amnestieregelungen nicht mit dem Wesen der FATF, der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, in Einklang zu bringen.

Die Kapitalamnestie-Gesetze verfolgen sowohl in Russland als auch in der Türkei das Ziel, Kapitalflüsse ins Land zu generieren, um wieder liquide zu sein. Das Beispiel Russland und Türkei demonstrieren, dass Autokraten angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten Maßnahmen zur Abfederung einführen − auch wenn sie dadurch Tür und Tor zur Geldwäsche öffnen und gegen ihre Verpflichtungen aufgrund ihrer FATF-Mitgliedschaft verstoßen.

 

 

 [1] Das World Justice Project (WJP)  ist eine unabhängige, multidisziplinäre Organisation, deren Ziel es ist, die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der ganzen Welt zu dokumentieren, Entwicklungen darzulegen und die Rechtsstaatlichkeit weltweit zu fördern.

 [2] Siehe Blogbeitrag: Welche Folgen hat die Aufnahme der Türkei in die graue FATF-Liste? 

[3] Siehe Blogbeitrag: Welche Folgen hat die Aufnahme der Türkei in die graue FATF-Liste?

[4] Siehe Blogbeitrag: Welche Folgen hat die Aufnahme der Türkei in die graue FATF-Liste? 

[5] Siehe Blogbeitrag: Welche Folgen hat die Aufnahme der Türkei in die graue FATF-Liste? 

[6] FAFT, Anti-money laundering und counter-terrorist financing measures - Mutual Evaluation Report 2019, S. 10 Priority Actions

[7] FAFT, Anti-money laundering und counter-terrorist financing measures – 1st Enhances Follow-up Report & Technical Compliance Re-Rating

[8] www.haber.sol.org.tr/haber/kara-para-aklamanin-en-kolay-yolu-erdoganin-varlik-barisi-aski-308261

[9] www.giz.de/en/downloads/170330_factsheet_BMZ_Steuer.pdf

[10] www.puls24.at/news/politik/russland-droht-westen-mit-harten-strafmassnahmen/258923

[11] www. ostexperte.de/oligarchen-ziehen-geld-aus-europa-ab/

[12] www.diepresse.com/5374305/wie-die-russischen-oligarchen-geld-aus-europa-abziehen

[13] www.handelsblatt.com/politik/international/russland-putin-will-devisen-zurueckholen/20790790.html

[14] www.roedl.net/fileadmin/user_upload/Roedl_Russia/Newsletter/deutsch/Newsletter-Mai-Juni-2018.pdf

[15] www.handelsblatt.com/politik/international/russland-putin-will-devisen-zurueckholen/20790790.html

[16] www.lex-temperi.de/aktuelles/news-anleger-und-geschäftsleute-profitieren-von-der-russischen-kapitalamnestie

[17] www.lex-temperi.de/aktuelles/news-anleger-und-geschäftsleute-profitieren-von-der-russischen-kapitalamnestie